Wir haben feststellen m\u00fcssen, dass sich unsere Ansichten nicht mit denen der Rechtsmediziner vereinbaren lassen. Es gab trotz vieler Gespr\u00e4che kein wechselseitiges Verst\u00e4ndnis. Selbst ein Ann\u00e4herung war nicht m\u00f6glich.<\/p>\n
Was war geschehen?<\/p>\n
Zun\u00e4chst wurde die \u201eLeiche\u201c – damit ist unser Sohn Christian gemeint \u2013 von der Polizei beschlagnahmt. Er wurde in das Klinikum Walsrode zur Obduktion \u00fcberf\u00fchrt.<\/p>\n
Wie klingt das f\u00fcr uns Eltern? Leiche, beschlagnahmt? Ich dachte immer, man k\u00f6nne nur Dinge beschlagnahmen und das sei auch nur notwendig, wenn jemand das \u201eDing\u201c nicht herausgibt. Es gab keine Anhaltspunkte daf\u00fcr. Aber viel schlimmer, mit dem Eintritt des Todes bei einem Menschen wird aus ihm ein \u201eDing\u201c, ein Fall, abzuarbeiten nach Vorschriften.<\/p>\n
Als n\u00e4chstes stellte die Staatsanwaltschaft einen Antrag auf \u201eLeichen\u00f6ffnung\u201c. Diese wurde mit Beschluss des Amtsgericht Walsrode vom 23.10.97 angeordnet und durchgef\u00fchrt.<\/p>\n
Von all diesen Dingen wussten wir als Eltern zu diesem Zeitpunkt nichts.<\/strong><\/p>\n Von einer angeordneten Obduktion erfuhren wir am Abend des 23.10.97 in einer Nachrichtensendung, die wir zuf\u00e4llig im Fernsehen sahen. Wir beide waren uns einig, dass wir eine Obduktion nicht w\u00fcnschen und deshalb telefonierte ich mit einem Ansprechpartner der Bundeswehr. Ich bat ihn, daf\u00fcr Sorge zu tragen, dass eine Obduktion nicht durchgef\u00fchrt wird. Er sagte mir zu, sich darum zu k\u00fcmmern. Ein paar Tage sp\u00e4ter wurde uns mitgeteilt, dass nur das Geschoss, das in Christian`s K\u00f6rper steckte, entfernt worden sei. Dieses m\u00fcsse untersucht werden, wegen der Spurensicherung und sei notwendig zur Aufkl\u00e4rung des Unfalls.<\/p>\n Christian wurde nach Hause \u00fcberf\u00fchrt und an einem Nachmittag nahmen wir im engsten Familienkreis Abschied von unserem Sohn und Bruder. Was w\u00fcrde uns erwarten? Wir haben Stunden mit ihm verbracht. Wie sind diese Stunden zu beschreiben? Es waren Stunden der Trauer, der Verzweiflung, des Entsetzens, Schuldzuweisung im Stillen an die eigene Person, eine Zeit der Angst um den Bruder bzw. Sohn und Partner, ob sie durchhalten. Und die immer wieder gestellte Frage, wie soll es weitergehen?<\/p>\n Es herrschte Stille. Christian bewegte sich nicht mehr und wir drohten, zu erstarren.<\/p>\n Das Bestattungsinstitut hatte Erbarmen mit uns. Es nahm, entgegen der \u201ehygienischen Vorschriften\u201c auf unsere Bitte hin, dem \u201eSchneewittchensarg\u201c den durchsichtigen Deckel ab. Nun konnten wir unseren Sohn auch anfassen. Danke daf\u00fcr.<\/p>\n W\u00e4hrend dieser Stunden hatten wir genug Zeit, unseren Sohn anzusehen. Uns fielen zu diesem Zeitpunkt nicht erkl\u00e4rliche Verletzungen an seinem Kopf auf und das Gesicht wirkte entstellt und sein K\u00f6rper war extrem \u201ed\u00fcnn\u201c. Diese Verletzungen waren nicht vereinbar mit dem Wissen, dass Christian durch einen R\u00fcckenschuss get\u00f6tet wurde. Wir hatten alle diese Ver\u00e4nderungen wahrgenommen, aber zun\u00e4chst sprach niemand dar\u00fcber. Wieder herrschte Stille zwischen uns. Es war wohl einerseits die Angst, den anderen mit Vermutungen \u00fcber die Herkunft der Verletzungen noch trauriger zu machen und andererseits die Hoffnung, der andere k\u00f6nnte es vielleicht nicht bemerkt haben. Die Zweifel nagten jedoch an unserer Seele und wir entschlossen uns, eine Kl\u00e4rung herbeizuf\u00fchren..<\/p>\n Letzte Gewissheit \u00fcber die abgelaufenen Dinge erhielten wir durch die Akteneinsicht in die Ermittlungsakten. Die Obduktion war bereits am Nachmittag des 23.10.97 durchgef\u00fchrt worden, noch bevor wir \u00fcberhaupt Kenntnis davon hatten und uns die Notwendigkeit der Anh\u00f6rung gew\u00e4hrt worden w\u00e4re.<\/p>\n Seitens der beteiligten Beh\u00f6rden sah man uns gegen\u00fcber offensichtlich keinen Mitteilungs- und Aufkl\u00e4rungsbedarf. Wir begannen selbst, die entsprechenden Stellen (Polizei, Staatsanwaltschaft, Rechtsmediziner) anzuschreiben, anzusprechen und in der Literatur zu recherchieren.<\/p>\n Obduktion ohne Anh\u00f6rung der Angeh\u00f6rigen?<\/strong> \u201eDiese Anh\u00f6rung ist daher zun\u00e4chst Voraussetzung einer richtigen Entscheidung. Dar\u00fcber hinaus fordert die W\u00fcrde der Person, da\u00df \u00fcber ihr Recht nicht kurzerhand von Obrigkeits wegen verf\u00fcgt wird; der einzelne soll nicht nur Objekt der richterlichen Entscheidung sein, sondern er soll vor einer Entscheidung, die seine Rechte betrifft, zu Wort kommen, um Einflu\u00df auf das Verfahren und sein Ergebnis nehmen zu k\u00f6nnen.\u201c… Aber auch bei diesen besonders eiligen Ma\u00dfnahmen wird die M\u00f6glichkeit \u2013 etwa durch telefonische Mitteilung von der beabsichtigten Obduktion \u2013 zumeist gegeben sein, die Angeh\u00f6rigen noch vor der Entscheidung zu h\u00f6ren. Ist die Anh\u00f6rung vor der Anordnung der Obduktion nicht m\u00f6glich, dann wird man sie doch jedenfalls vor der Durchf\u00fchrung h\u00e4ufig noch vornehmen k\u00f6nnen.\u201c …<\/p><\/blockquote>\n Die verantwortlichen Beh\u00f6rden haben uns nicht informiert. Jeder dachte, der andere tut es (Polizei, Staatsanwaltschaft, Bundeswehr). So kam es, dass es keiner tat. Der die Sektion durchf\u00fchrende Arzt ist zwar daf\u00fcr nicht zust\u00e4ndig, h\u00e4tte sich jedoch durch eine diesbez\u00fcglich Frage an die der Sektion beiwohnenden Vertreter der Polizei bzw. Staatsanwaltschaft vergewissern k\u00f6nnen. Aus den vorhandenen Unterlagen geht auch nicht hervor, dass \u00fcberhaupt die M\u00f6glichkeit einer Anh\u00f6rung der Angeh\u00f6rigen in Betracht gezogen worden w\u00e4re.. Letztendlich ist das auch egal, denn wenn wir bei einer Anh\u00f6rung keine Zustimmung gegeben h\u00e4tten, h\u00e4tte das Gericht die Obduktion auch ohne unsere Zustimmung anordnen k\u00f6nnen.<\/p>\n Und so nahm die Sektion ihren Lauf. Aus dem Sektionsprotokoll wissen wir, dass nicht nur das Geschoss entfernt wurde, sondern wie in der Strafprozessordnung (StPO) vorgesehen und in Lehrb\u00fcchern beschrieben, eine komplette Obduktion durchgef\u00fchrt wurde.<\/p>\n Nach R\u00fccksprache mit unserem Anwalt wurde uns dazu erkl\u00e4rt, dass die Ermittlung der genauen Todesursache sehr wichtig sei. Damit wird dem T\u00e4ter, bzw. seinem Verteidiger die M\u00f6glichkeit genommen, zu behaupten, das Opfer sei bereits vor dem sch\u00e4digenden Ereignis tot gewesen. Welche Gewissenlosigkeit setzt solche Denkweise voraus? Zur Erinnerung die konkrete Situation vor Ort: \u00dcber 100 junge und gesunde Soldaten (sie sind zur Musterung und w\u00e4hrend der Dienstzeit mehrfach auf ihren Gesundheitszustand untersucht worden) gehen an diesem Abend zur Schie\u00df\u00fcbung. Jeder hat in der Hand eine t\u00f6dliche Waffe mit der entsprechende Munition dazu. Zwei von ihnen schie\u00dfen. Christian liegt auf dem Bauch im Kampfstand. Daf\u00fcr gibt es mindestens 2 Zeugen, der unmittelbar daneben liegende Soldat und die Schie\u00dfaufsicht. Ahnungslos und v\u00f6llig machtlos wird er t\u00f6dlich in den R\u00fccken getroffen, der andere schwer verletzt. Als man in der Aufregung auf Christian aufmerksam wurde, lag er mit dem Gewehr im Anschlag noch unver\u00e4ndert auf dem Bauch im Kampfstand. Lediglich der Kopf war nach unten gefallen.<\/p>\n Weitere Kontakte fanden mit dem Direktor des Institut f\u00fcr Rechtsmedizin in Hamburg und dem Obduzenten von Christian, Herrn Prof. Dr. med. M. und weiteren \u00c4rzten statt.<\/p>\n Eine Obduktion muss immer vollst\u00e4ndig sein und umfasst die \u00d6ffnung aller K\u00f6rperh\u00f6hlen mit Protokollierung der Befunde an allen inneren Organen sowie im Bereich aller Verletzungen. Die untersuchten Organe werden wieder vollst\u00e4ndig in den K\u00f6rper zur\u00fcckgegeben (abgesehen von kleinsten Organteilen f\u00fcr mikroskopische und chemische Untersuchungen). Jedes einzelne Organ wird genau gepr\u00fcft, gemessen und gewogen. So steht es im \u00a7 89 StPO und entsprechenden Lehrb\u00fcchern.<\/p>\n Der Direktor des Instituts f\u00fcr Rechtsmedizin schrieb uns folgendes:<\/p>\n \u201eIch bin immer wieder sehr betroffen, wenn ich erfahre, wie viel Leid unsere \u00e4rztliche (!) T\u00e4tigkeit als Rechtsmediziner hervorruft und wie viel Unverst\u00e4ndnis auf Seiten von betroffenen Angeh\u00f6rigen f\u00fcr unsere Arbeit besteht. – Wenn Sie im Zusammenhang mit einer Obduktion von \u201eentw\u00fcrdigenden Untersuchungen\u201c sprechen, dann m\u00f6chte ich Ihnen zun\u00e4chst entgegnen, da\u00df derartige Untersuchungen nach meiner festen \u00dcberzeugung gerade dazu dienen, die Menschenw\u00fcrde und Menschenrechte zu wahren\u201c…<\/p><\/blockquote>\n Aber es stand nach wie vor noch die Frage, mit welcher Sorgfalt man eine Obduktion durchf\u00fchren kann, wie sichtbar oder wohl eher unsichtbar die Ma\u00dfnahmen der Sektionsdurchf\u00fchrung f\u00fcr die Angeh\u00f6rigen sein sollten. Die entnommenen Organe kommen nur lose wieder in den K\u00f6rper. Sie werden nicht mehr vern\u00e4ht. Der Aufwand bei einem toten Menschen ist zu gro\u00df. Das erkl\u00e4rt auch den eingefallenen Brustkorb.<\/p>\n In diesem Zusammenhang sagt man mir: „Es ist die Frage, wo f\u00e4ngt ein Mensch an und wo h\u00f6rt er auf, einer zu sein?“<\/p>\n Doch nun zur Antwort auf die deutlich sichtbaren Verschiebungen im Kopfbereich von Christian:<\/p>\n \u201eDurch den Transport von Walsrode nach Leipzig k\u00f6nnten schon mal N\u00e4hte verrutschen\u201c, erkl\u00e4rte mir dazu der Obduzent. Was k\u00f6nnte er wohl damit gemeint haben? Ist das Zun\u00e4hen nach Beendigung der Sektion liederlich erfolgt oder ist das Auto des Bestattungsinstituts so rasant von Walsrode nach Leipzig gefahren? Eine Mitarbeiterin des Bestattungsinstitutes \u00e4u\u00dferte nach unserer Bemerkung \u00fcber das ver\u00e4nderte \u00c4u\u00dfere von Christian: \u201eWir waren eigentlich sehr zufrieden mit der Herrichtung von Christian zur Aufbahrung\u201c. Wie muss er wohl ausgesehen haben, als er in Leipzig ankam?<\/p>\n Besagter Arzt sagte \u00fcbrigens noch zu mir: \u201eWenn ich damit nicht klar k\u00e4me, w\u00e4re das mein Problem\u201c.<\/p>\n Was uns alles so gesagt wurde:<\/strong><\/p>\n „Der K\u00f6rper ist nur die leere H\u00fclle des Menschen. Ich habe noch nie darin eine Seele gefunden.<\/em>“<\/p>\n Ge\u00e4u\u00dfertes Unverst\u00e4ndnis dar\u00fcber, dass wir Probleme mit einer Obduktion haben, andererseits keine Probleme mit der Bestattungsart (Feuerbestattung)<\/p>\n Man r\u00e4t Angeh\u00f6rigen ab, Verstorbene nach einer Obduktion anzusehen<\/p>\n Zum Einwand, man ben\u00f6tige doch Gewissheit: „Man k\u00f6nne sicher sein, dass in Deutschland niemand beerdigt w\u00fcrde, der es nicht sei.<\/em>“<\/p>\n „Ich lasse mir nicht nachsagen, dass ich meine Arbeit nur halb mache.<\/em>“<\/p>\n „Wenn ich mit der Obduktion nicht klar komme, sei das mein Problem<\/em>“<\/p>\n „Durch den Transport k\u00f6nnten schon mal N\u00e4hte verrutschen.<\/em>“<\/p>\n „Ich habe im letzten Jahr Todesf\u00e4lle in der eigenen Familie gehabt. Die haben auch nicht mehr so ausgesehen, wie vorher.<\/em>“<\/p>\n Rationale Gesichtspunkte aus medizinischer Sicht und die emotionale Betrachtungsweise der Hinterbliebenen stehen sich unvereinbar gegens\u00e4tzlich gegen\u00fcber. Die Bew\u00e4ltigung dieser Tatsache bereitet uns auch heute noch gro\u00dfe Schwierigkeiten.<\/p>\n Es gab noch ein Problem, das bei uns auf Unverst\u00e4ndnis stie\u00df.<\/p>\n Die Staatsanwaltschaft ordnete eine Alkoholuntersuchung bei Christian an. (Ergebnis: Blut und Urin 0,00 \u2030).<\/p>\n Allerdings wurden keinerlei Alkoholtests bei den lebenden Beteiligten des Schie\u00dfunfalls angeordnet. Auf Anfrage wurde uns dazu mitgeteilt: \u201eDas w\u00e4re ein Eingriff in die Pers\u00f6nlichkeitsrechte der jeweiligen Personen. Au\u00dferdem w\u00fcrde das nur erfolgen, wenn ein hinreichender Verdacht bestehen w\u00fcrde\u201c. Hatte Christian keine Pers\u00f6nlichkeitsrechte mehr? Zu welchem hinreichenden Verdacht hatte Christian Anlass gegeben, als er im Liegen, von hinten erschossen wurde? „Es h\u00e4tte ja sein k\u00f6nnen, dass Christian betrunken in der Schie\u00dflinie herumgetorkelt ist“ wurde uns als Begr\u00fcndung gesagt. Die deutsche Rechtssprechung ist schwer zu verstehen.<\/p>\n Wir wollen keinesfalls unterstellen, dass die Soldaten an jenem Abend mit Alkohol im K\u00f6rper Dienst getan haben. Doch wir wissen es nicht, weil niemand an einer entsprechenden Untersuchung Interesse gehabt hat. Diese Frage kann nie mehr gekl\u00e4rt werden.<\/p>\n","protected":false},"excerpt":{"rendered":" Wir haben feststellen m\u00fcssen, dass sich unsere Ansichten nicht mit denen der Rechtsmediziner vereinbaren lassen. Es gab trotz vieler Gespr\u00e4che kein wechselseitiges Verst\u00e4ndnis. Selbst ein Ann\u00e4herung war nicht m\u00f6glich. Was war geschehen? Zun\u00e4chst wurde die \u201eLeiche\u201c – damit ist unser Sohn Christian gemeint \u2013 von der Polizei beschlagnahmt. Er wurde in das Klinikum Walsrode zur<\/p>\n
\n(Struckmann in NJW 1964 Heft 48, S. 2245),<\/p>\n
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