Zuerst erkundigten wir uns ob die Bundeswehr haftpflichtversichert ist. Dazu wurde uns mitgeteilt, dass es viel zu teuer sei, f\u00fcr die Gr\u00f6\u00dfe der Bundeswehr und die dort bestehenden Risiken eine Versicherung abzuschlie\u00dfen. Billiger sei es auf jeden Fall, ggf entstandene Sch\u00e4den so auszugleichen. Das bezieht sich jedoch nur auf materielle Sch\u00e4den, z. B. eine zerschossene Fensterscheibe, ein durch Panzer ruiniertes Getreidefeld, Unf\u00e4lle mit Zivilpersonen im \u00f6ffentlichen Verkehrsraum – Beispiele sind beliebig gew\u00e4hlt.<\/p>\n
Im M\u00e4rz 1999 schrieben wir an die Bundeswehr und baten um Kl\u00e4rung verschiedener Fragen. Daraufhin meldete sich ein Herr E., Leitender Rechtsberater Luftwaffenamt bei uns. Er schlug ein Treffen bei uns zu Hause vor. Dieses kam im April 1999 zustande. Am Ende des Gespr\u00e4ches sagte er zu uns: \u201eSie brauchen sich nicht einzubilden, dass Sie etwas zu erwarten haben\u201c.<\/p>\n
Wir beauftragten daraufhin eine Rechtsanwaltskanzlei mit der Pr\u00fcfung evt. bestehender Schadenersatz bzw. Entsch\u00e4digungsanspr\u00fcche gegen\u00fcber der Bundesrepublik Deutschland. Diese erstellte im Juni 2000 ein umfangreiches Gutachten.<\/p>\n
In die Begutachtung wurden einbezogen die vorhandenen Unterlagen und die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsakten.<\/p>\n
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Das Gutachten gliedert sich in 4 Punkte:<\/strong><\/p>\n
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1. Sachverhalt<\/p>\n
2. Rechtliche W\u00fcrdigung<\/p>\n
2.1. Organisationsverschulden<\/p>\n
2.2. Schadenersatz\/Entsch\u00e4digungsanspr\u00fcche<\/p>\n
3. Erstattungsf\u00e4higkeit von Sch\u00e4den<\/p>\n
4. Abschlie\u00dfende Feststellungen<\/p>\n
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Auf die Wiedergabe des Sachverhaltes verzichten wir hier, da dieser bekannt ist. Die anderen Punkte wurden stark zusammengefasst und nur die wichtigen Passagen wiedergegeben.<\/p>\n
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Zu 2.1. Organisationsverschulden<\/strong><\/p>\n
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Aus dem vorliegenden Sachverhalt und den Zeugenaussagen, der an dem Nachtschie\u00dfen beteiligten Soldaten und Offizieren ergeben sich nach unserer Einsch\u00e4tzung Anhaltspunkte f\u00fcr ein erhebliches Organisationsverschulden auf Seiten der Bundeswehr.<\/p>\n
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Bereits bei einem vergleichbaren Nachtschie\u00dfen 1992 war ein Soldat ums Leben gekommen, da ein Wehrpflichtiger die Wartelinie mit dem Kampfstand verwechselt hatte. Bei den damaligen Ermittlungen wurden schon M\u00e4ngel und L\u00fccken in den Dienstvorschriften und Ausf\u00fchrungsbestimmungen zur Durchf\u00fchrung eines derartigen Nachtschie\u00dfens festgestellt.<\/p>\n
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Trotz dieser Feststellungen hat es seitens der Bundeswehrorganisation keine \u00c4nderungen der Dienstvorschriften gegeben.<\/p>\n
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Das Bundesamt f\u00fcr Wehrtechnik und Beschaffung hat zum damaligen Ungl\u00fcck einen Untersuchungsbericht vorgelegt und Empfehlungen ausgesprochen zur Vermeidung zuk\u00fcnftiger Unf\u00e4lle. Diese Empfehlungen wurden zwar in vielen Ausbildungseinrichtungen \u00fcbernommen, jedoch wurden sie nie Bestandteil einer Vorschrift.<\/p>\n
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In der Luftwaffe waren die Ereignisse von 1992 nicht bekannt, der Unfall hatte sich beim Heer ereignet.<\/h3>\n
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Erst nach dem Tod von Christian wurde empfohlen, folgende Sicherheitsbestimmungen in die Vorschriften aufzunehmen:<\/strong><\/p>\n
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\u201eWenn an ein wartendes Rennen bereits Munition ausgegeben wurde, so m\u00fcssen diese Soldaten durch einen oder mehrere Sicherheitsgehilfen (abh\u00e4ngig von Sicht und \u00f6rtlichen Gegebenheiten) beaufsichtigt werden\u201c.<\/p>\n
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Nach Pr\u00fcfung aller Aussagen und Tatsachen ist davon auszugehen, dass der Bundeswehr bei der Durchf\u00fchrung des Gefechtsschie\u00dfens in erheblichem Ma\u00dfe ein Organisationsverschulden vorzuwerfen ist.<\/p>\n
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Die Feststellung des Bundesamtes f\u00fcr Wehrtechnik und -beschaffung aus dem Jahre 1992 h\u00e4tte zwingend eine \u00c4nderung der Dienstvorschriften f\u00fcr die Durchf\u00fchrung eines solchen Gefechtsschie\u00dfens zur Folge haben m\u00fcssen. W\u00e4re man der dort ausgesprochenen Empfehlung gefolgt, dass sich die Rekruten auf dem Truppen\u00fcbungsgel\u00e4nde nach Erhalt der Munition nur noch unter Aufsicht bewegen d\u00fcrfen, w\u00e4re der hier vorliegende Ungl\u00fccksfall der zum Tode des Soldaten St\u00f6be gef\u00fchrt hat, mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit verhindert worden.<\/p>\n
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Zu 2.2. Schadenersatz\/Entsch\u00e4digungsanspr\u00fcche<\/strong><\/p>\n
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Schmerzensgeldanspruch f\u00fcr die Auftraggeber:<\/p>\n
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Dieser ist nicht ersichtlich (z. B. Schockschaden) und kommt daher nicht in Betracht.<\/p>\n
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Schmerzensgeldanspruch als Hinterbliebene:<\/p>\n
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a) Grunds\u00e4tzlich kann ein Schmerzensgeldanspruch auf die Hinterbliebenen \u00fcbergehen. Das setzt jedoch voraus, dass zun\u00e4chst der Verstorbene einen derartigen Anspruch erworben h\u00e4tte. Ein Schmerzensgeldanspruch ist schon dann ausgeschlossen, wenn der Gesch\u00e4digte die ihm zugef\u00fcgte Verletzung nicht empfunden hat.<\/p>\n
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b)Schmerzensgeldanspruch nach \u00a7 874 BGB: Im Fall, dass der Verletzte sofort stirbt, ist hier zu pr\u00fcfen, ob die K\u00f6rperverletzung gegen\u00fcber dem nachfolgenden Tod eine immaterielle Beeintr\u00e4chtigung darstellt, die nach Billigkeitsgrunds\u00e4tzen ein ausgleichendes Geld erforderlich macht. – Dieser Anspruch ist nicht gegeben, \u201e..da Christian durch den Schuss sofort get\u00f6tet worden ist und damit die Zeit zwischen dem Schuss und dem Tod so kurz war, dass nicht die durch den Schuss ausgel\u00f6ste K\u00f6rperverletzung im Vordergrund steht, sondern der Tod.<\/p>\n
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c) zustehende Anspr\u00fcche der Hinterbliebenen sind nach dem Soldatenversorgungsgesetz die vollen Bez\u00fcge des Get\u00f6teten im Sterbemonat (hier der Wehrsold des Wehrpflichtigen) und ein Sterbegeld in H\u00f6he von 5000,00 DM.<\/p>\n
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d) Einmaliger Anspruch aus \u00a7 63 a SoldVersG (sogenannte \u201eHeldenpr\u00e4mie\u201c) in H\u00f6he von 150.000,00 DM \u2013 Dieser Anspruch besteht ebenfalls nicht.<\/p>\n
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Nach dieser Vorschrift entsteht dieser Anspruch nur, wenn der Soldat bei Aus\u00fcbung einer Diensthandlung, mit der bei ihm eine besondere Lebensgefahr verbunden ist, sein Leben einsetzt und infolge dieser Gef\u00e4hrdung einen Unfall erleidet. Die Erwerbsf\u00e4higkeit des Soldaten muss wenigstens um 80 % beeintr\u00e4chtigt sein.<\/p>\n
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Der t\u00f6dliche Schuss hat Christian \u00fcberrascht und so gesehen, hat er sein Leben nicht bewusst eingesetzt. Im Gegensatz zum Gefechtseinsatz ist bei allgemeinen Schie\u00df\u00fcbungen von einer besonderen Lebensgefahr nicht auszugehen, da grunds\u00e4tzlich durch die \u201eZentralen Dienstvorschriften\u201c der Bundeswehr und die konkreten Befehle im Einzelfall Lebensgefahren weitgehend minimiert werden.<\/p>\n
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Die H\u00f6he der Zahlungen beziehen sich auf den Stand der Gesetze von 1997.<\/p>\n
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Zu 3. Erstattungsf\u00e4higkeit von Sch\u00e4den<\/strong><\/p>\n
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Da k\u00e4men z. B. Aufw\u00e4ndungen in Betracht, die im Hinblick auf die Entwicklung des Kindes get\u00e4tigt wurden (Erziehungskosten, Ausbildungskosten, Verzicht auf Rentenanwartschaften durch Verk\u00fcrzung der Erwerbst\u00e4tigkeit, Versicherungsleistungen).<\/p>\n
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Gem\u00e4\u00df des Berichtes des Bundesministerium f\u00fcr Familie, Senioren, Frauen und Jugend vom Januar 1998 sind diese im hier vorliegenden Fall auf ca. 120.000,00 DM zu beziffern.<\/p>\n
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Diese Aufw\u00e4ndungen sind jedoch nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes unter Zugrundelegung des BGB nicht einklagbar.<\/p>\n
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Zu 4. Abschlie\u00dfende Feststellungen<\/strong><\/p>\n
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Der gerichtlichen Geltendmachung von Schadenersatz- und Entsch\u00e4digungsanspr\u00fcchen stehen rechtliche Bedenken entgegen.<\/p><\/blockquote>\n
In einem letzten Schreiben der Wehrbereichsverwaltung II vom Dezember 2000 wurde uns noch folgendes mitgeteilt:<\/p>\n
\u201eIn dem Bericht (gemeint ist das Schreiben der Wehrbereichsverwaltung II an das Bundesministerium der Verteidigung) habe ich auf die Tatsache hingewiesen, dass auf Grund der Regelung des \u00a7 91 a Soldatenversorgungsgesetz au\u00dferhalb der Bundeswehr stehenden Personen, die durch Bundeswehrangeh\u00f6rige verletzt werden, unter Umst\u00e4nden weitergehende Leistungen gew\u00e4hrt werden, als den nach dem Soldatenversorgungsgesetz versorgungsberechtigten Personen.<\/p>\n
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Diese f\u00fcr Sie unbefriedigende Rechtslage wird jedoch nur \u00fcber eine \u00c4nderung des \u00a7 91 a Soldatenversorgungsgesetz zu beseitigen sein. Da das Bundesverfassungsgericht bereits die Vereinbarkeit dieser Rechtsnorm mit dem Grundgesetz festgestellt hat, ist wohl in absehbarer Zeit nicht mit einer Gesetzes\u00e4nderung zu rechnen\u201c.<\/p><\/blockquote>\n
Wichtig zum Verst\u00e4ndnis ist hier, dass Eltern eines get\u00f6teten Wehrpflichtigen den Vorschriften des Soldatenversorgungsgesetzes unterstehen, auch wenn sie selbst nicht der Bundeswehr angeh\u00f6ren.<\/p>\n
Herr E., Leitender Rechtsberater Luftwaffenamt sollte also Recht behalten.<\/p>\n